Fjord

Mit ihrer Arbeit FJORD erarbeitet Susanne Brodhage einen Übersetzungsprozess von Landschaft ins Bild und macht ihn als Bestandteil der ästhetischen Erfahrung von Fotografie sichtbar. Ihre Aufnahmen sind das Resultat eines Aufzeichnungs- und Abmischungs-Prozesses. 

Ein Residence-Stipendium führt Susanne Brodhage 2009 nach Island in eine kleinen Stadt, die am Endpunkt eines sich weit ins Landesinnere erstreckenden Fjords gelegen ist. Die mächtigen Bergketten seiner Ufer bilden den festen Bestandteil dieses Lebensraums. Jeder Blick aus dem Fenster ist ein Bild, eine Ansicht der Berge. Ein erster und ungewohnter Eindruck auch für den ankommenden Reisenden. Unwillkürlich bekommt schon auf dieser Ebene die Umgebung eine gewisse Handlungsmacht, sie drückt sich ins Bewusstsein, hinterläßt einen Ein- oder Abdruck. 

In den Begegnungen mit den Einheimischen entfaltet sich in ihren Erzählungen ein Sprechen zwischen Individuum und dem hier in übergangsloser Nachbarschaft umgebenden Landschaftsraum. Er entzieht sich der einfachen Kontrolle durch die Einwohner. Auf diesen widerspenstigen Aspekte hat der Mensch seit jeher mit Emotionen reagiert, auch wenn heute insbesondere durch die Erfahrungen globaler Mobilität die Reaktionen weniger stark sind. Es bleibt aber doch ein ästhetisches Element in der Einstellung zur Natur, ein beständiger Dialog als könnte aus dieser Richtung eine Antwort oder auch nur ein Oberton zum Leben kommen. 

Ein Foto scheint nicht adäquat um etwas hiervon zu beleuchten. Andererseits könnten Bilder, die täglich gesehen werden, die den Alltag begleiten, so etwas wie Geräusche und Töne im Hintergrund sein. Verglichen mit dem Sehen ist das Hören auch unkonzentriert und passiv. Geräusche werden auch ohne Kontext gehört. Im musikalischen und akustischen Bereich ist der Begriff der Aufzeichnung ganz selbstverständlich. Musik kann Splitter und Teile der Realität aufzeichnen und sie zum klingen bringen. Susanne Brodhage entscheidet sich für eine Art der fotografischen Aufzeichnung. Das ist in der Fotografie gewissermaßen eine abstrakte Handhabung ihrer Mittel unter Ausschluss einer Menge anderer Möglichkeiten. 
Auf mehreren Wanderungen nimmt sie das gesamte achtzehn Kilometer lange Fjord Ufer in paralleler Aufsicht vom gegenüberliegenden Ufer aus auf. Das fotografische Ausgangsmaterial sind schließlich zwei Abwicklungen bei unterschiedlichen Witterungsverhältnissen, die anschließend digital zusammenmontiert werden. Teilstrecken aus diesen beiden montierten Panoramen werden heraus gesampelt und neu abgemischt. Dabei werden sie entweder gestaucht oder gedehnt. Es ist ein Pulsieren zwischen einem Zusammeziehen und Weiten der Längen. 

Die Bilder der Arbeit Fjord erfahren durch ihren Entstehungsprozess eine zeitliche und räumliche Loslösung aus dem originalen Kontext, verlieren aber nicht den Bezug zu ihrer Vorlage, es entstehen gewissermaßen Variationen. Der Betrachter erfährt zuerst eine Irritation und wird dadurch angeregt die Verschiebungen und Differenzen genauer wahrzunehmen. Derart intensiviert sich seine Beziehung noch zum Werkgegenstand, es kommt auch hier wiederum zu einer wechselseitigen Beobachtung.