
Isola
Der Titel der Arbeit ist das lateinische Wort für Insel. Seine geografische Bedeutung ist ein vollständig von Wasser umgebenes Stück Land, das nicht als Kontinent gilt, und im übertragenen Sinn ist es ein abgegrenzter Bereich.
Susanne Brodhage setzt sich in ihrer Arbeit Isola mit der gänzlichen Ganzheit eines Lebensraums und seiner prozesshaften Übersetzung in ein Bild auseinander. Bei der Umrundung im Boot nimmt sie eine Abwicklung, ein fotografisches Abtasten der einzigen möglichen Raumgrenze auf. Vier montierte Vorder- mit den jeweils genau gegenüber liegenden und über Kopf gestürzten Rückansichten werden anschließend digital zusammengefügt.
Die Insel ist vulkanischen Ursprungs und zur Hälfte völlig unzugänglich, nicht bewohnbar. Vor allem aber ihre Kleinheit und der relativ weite Abstand zum Festland bewirken, das sie nicht vollumfänglich angebunden ist. Es gibt auf ihr weder Straßen noch Autos, was ein Überschwappen, eine stärkere Vereinnahmung durch die Zivilisation vom Festland verhindert hat. Sie ist in gewisser Weise nicht anschlussfähig, sozusagen ausgeschlossen. Dies verleiht ihrer Abtrennung vom Festland einen ganz anderen Stellenwert, es ist das Grundthema ihrer Bewohner. Ein andauerndes Ereignis, das eine ganz andere Form und Ausrichtung, auch eine andere Zeiteinteilung bewirkt. Dazu gehört die Gleichgültigkeit jeder An- und Abreise, jedem Auftauchen und Verschwinden in ihrem Lebensraum gegenüber.
In ihrer Arbeit kehrt Brodhage die normale Perspektive um. In den Bildern ist der Horizont, der sonst auf der Insel in alle Richtungen das Blickfeld trennt und auf dem sich tagtäglich Schiffe, Fähren, Boote abzeichnen, die Wasser, Nahrung, und Touristen bringen, auf eine Achse reduziert. Zur Konzeption gehört noch ein weiteres abstraktes Verfahren, bei dem über die Karte der Insel vier imaginierte Achsen gelegt werden. Sie liefern an ihren Schnittpunkten mit der Küstenlinie die Auswahl der acht Ansichten.
Die bildliche Darstellung war ursprünglich einmal diejenige Praktik, die Karten hervorgebracht hat. Expeditionen zur See wurden unternommen mit dem Ziel unbekannte Küstenverläufe zu entdecken und zu erforschen. Zeichnungen wurden dabei als Grundlage angefertigt. Doch die Karten setzten sich später mehr und mehr gegenüber den Abbildungen durch. Heute greifen wir ganz selbstverständlich auf Satellitenaufnahmen zu, die uns die Umrisse aller Kontinente und jeder Insel lückenlos projizieren. Das geografische System der Karte schafft eine totale Verfügbarkeit. Ihre unersättliche Eigenart des Alles auf einmal scheint getrieben von einem unstillbares Verlangen nach der ganze Welt. Dabei gerät die Art des In-der-Welt seins mehr und mehr in Vergessenheit.
Die Arbeit Isola erzählt von einem eigenwilligen Ort der Existenz. Die felsigen Umrisse, die wir auf den Aufnahmen sehen, zeichnen einen unnachgiebigen Rand des Lebens selbst ab. Hier ist das Ganze einer kleinen Welt ohne ein mehr.